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LISELOTTE BRUMMER

Lilo, wie sie von ihren Freundinnen genannt wird, ist eine große stattliche Dame. Mit ihren fast 90 Jahren lebt sie immer noch in ihrer Stadtwohnung in Belgrano, in einem Haus, das aus der Zeit stammt, als hier noch keine Hochhäuser den Menschen das Sonnenlicht raubten. Belgrano ist ihre zweite Heimat geworden. Doch auch die Vergangenheit ist hier präsent. Die Einrichtung, alle Möbel sind aus Deutschland. Deutschland in Belgrano, Buenos Aires.

© Tim Hoppe

Als Mädchen und junge Frau war Lilo Brummer blond und entspricht ganz und gar nicht der nationalsozialistischen Vorstellung einer typischen Jüdin. Das hat ihr das Leben in Nazideutschland leichter gemacht, wie sie sagt. Sie sei eigentlich nie behelligt worden – doch, einmal in ihrer Heimatstadt Schweinfurt.


Sprecherin: Jutta Hagemann
Geboren in Münster/Westfalen, Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin und Kauffrau. Verbindung zum Theater durch den Schauspieler und Synchronsprecher Achim Schülke. Verschiedene Theaterstationen - Münster, Coburg, Kiel, Zürich, Kassel, Kiel - als Souffleuse, Inspizientin, Abendspielleitung und zuletzt am Theater Kiel als Assistentin des  Generalintendanten und leitende Disponentin im Schauspielhaus. Seid ca. 30 Jahren als Sprecherin bei Autorenlesungen und ausserdem vielseitig einsetzbar bei Dokus, Werbung, Warteschleifen, Besprechen von Filmen etc.

Sie erinnert sich: Sie hatte einen jüdischen Freund mit dem sie sich auf der Straße unterhielt. Ein Nazi habe sie angehalten und gefragt, warum sie sich als deutsches Mädel mit einem Juden unterhalten würde. Da habe sie zu ihm gesagt, dass sie selbst Jüdin sei. „Damit hatte sich der Fall erledigt“, sagt Lilo Brummer trocken, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Doch kalt hat sie dieser Zwischenfall natürlich nicht gelassen.

Ohne die Eltern will Lilo Deutschland nicht verlassen

Schon früh wird die kleine Lilo durch ihren Vater sozialdemokratisch geprägt. Doch der stirbt, als sie erst 12 Jahre alt ist, noch bevor seine politische Gesinnung für ihn gefährlich werden kann. „Der hätte es in Schweinfurt sehr schwer gehabt, wenn er am Leben geblieben wäre.“ Bald zieht sie mit Mutter und Schwester nach Augsburg zu ihrem Stiefvater, wo sie 1932 die Schule beenden kann. In Berlin lernt sie später Säuglingspflege im Krankenhaus. In dieser Zeit diskutiert die Familie das Thema Auswanderung mehr und mehr. Ihre Schwester Ilse geht schon früh nach Argentinien, weil ihr Mann dort einen Vetter hat, der sie anfordert. Kurze Zeit später bekommt auch sie von ihrer Schwester eine llamada geschickt. „Es war allerdings schwer, auch meine Eltern anzufordern, weil wir nicht adoptiert waren.“ Und ohne die Eltern will Lilo Deutschland nicht verlassen. „Wir wussten nicht, wohin wir nun auswandern sollten. Mein Stiefvater hat immer gesagt, ins nahe Ausland habe es keinen Sinn. Er hatte "Mein Kampf"  gelesen und wusste, „Der Mann führt durch, was er will. Wir müssen weit weg.“ 1938 reist die Tochter dann doch ohne die Eltern aus. Nur sehr ungern, wie sie sich erinnert. „Ich mein‘, ich bin in die Sicherheit gegangen, aber meine Eltern – Ich hatte Angst vor der Zukunft.“ Heute kann sie über ihre damaligen Sorgen schmunzeln. Nach Kriegsausbruch haben es die Eltern über Chile doch bis nach Buenos Aires geschafft. „Gottseidank haben wir alle überlebt!“ sagt sie und strahlt.

„Ach, Gottseidank, Sie sind kein Nazi!“

Unbeschwert geht sie ihr neues Leben an. „Schon nach drei Monaten in Buenos Aires habe ich geheiratet.“ Sie lacht, wenn sie über diese Unbekümmertheit nachdenkt. Der Kontakt zu anderen deutschen Juden ist ihr immer sehr wichtig. Die jüdische Gemeinde und der Hilfsverein spielen von Anfang an eine große Rolle. Auch die Arbeit im Deutschen Hospital und in privaten Haushalten helfen ihr bei der Eingewöhnung. Vor allem an eine Stellung erinnert sie sich genau. „Die Frau war Österreicherin, ihr Mann Italiener. Irgendwann sagt sie zu mir, „Schwester, wann wollen Sie Ihren freien Tag?“ Sach‘ ich, „Wenn Sie mir einen der jüdischen Feiertage frei geben könnten.“ Und da hat sie gesagt, „Ach, Gottseidank, Sie sind kein Nazi!“ Und da habe ich gesagt, „Dasselbe habe ich von Ihnen gedacht.“ Sie lacht, wenn sie daran denkt, dass sie immer wieder im Laufe ihres Lebens für einen Nazi gehalten wurde. Doch sie ist Jüdin durch und durch und dem AFI so sehr verbunden, dass ihr Sohn immer wieder zu ihr sagt, sie lebe für den Hilfsverein. Schon seit 36 Jahren fährt sie raus nach San Miguel, zweimal in der Woche. Sie assistiert dort dem Zahnarzt und besucht Bewohnerinnen und Bewohner, die wenig Besuch bekommen. Zunächst sei ihre Motivation aber rein egoistisch gewesen, sagt sie. Sie habe sich ausgerechnet, es würde sich auch jemand um ihre Mutter in Deutschland kümmern, wenn sie im Hogar Adolfo Hirsch ehrenamtlich arbeite. Denn die musste wegen ihres Asthmas zurück nach Deutschland gehen und lebte dort bis zu ihrem Tod in einem Altenheim. Mittlerweile ist an die Stelle des Egoismus eine enge Verbundenheit zum Heim getreten. „Ich hänge dran. Es kommt ja auch Dank. Ich mach es einfach gerne.“ Und sie hat sich vorgenommen, bis zu ihrem 90. Lebensjahr weiter zu machen. „Mein Sohn sagt immer, „Mami, wenn du nicht mehr raus gehst, wirst du schneller alt!“ Und sie will anscheinend jung bleiben. Sie hält kurz inne, lacht und fügt hinzu, „Da bin ich folgsam.“