Zur Entstehung des Projektes
Dem Stück Deutschland, von dem ich hier erzähle, bin ich zum ersten Mal im Jahre 1999 begegnet. Hanna Grünwald, eine deutsche Jüdin, war deutscher als alle Großmütter, die ich bis dahin kennengelernt hatte. Im Schrank stapelte sich die Aussteuerwäsche, von ihrer Mutter von Hand bestickt.
Fast alle Möbel waren aus Deutschland und sie kochte so deutsch, wie ich es in Argentinien nicht erwartet hätte: Sauerbraten, gepökelte Zunge, Kochkäse. Kochkäse hatte ich bis dahin noch nie gegessen. Das Besteck, von dem wir aßen, war aus Deutschland und die Teller auch. Hanna Grünwald lebte zu diesem Zeitpunkt schon 61 Jahre in Buenos Aires und war dennoch Deutsche geblieben. Nicht nur in der Küche. Sie las Deutsch, sie dachte Deutsch und sie war über Deutschland immer bestens informiert, durch das Argentinische Tageblatt und die Deutsche Welle. Diese Frau faszinierte mich sehr. Wie konnte es sein, dass ein Mensch in der Fremde sich so wenig verändert, Rituale und Gewohnheiten beibehält, ausschließlich Freundinnen und Freunde hat, die ebenfalls deutsche Juden sind? Hanna Grünwald hat ihr kleines Stück Deutschland mitgenommen und konserviert, weil auch sie von den Nazis verfolgt, gehen musste.
Hanna Grünwald war eine der vielen sogenannten voluntarias im Hogar Adolfo Hirsch, bis zu ihrem 95. Geburtstag.
Sie machte mich neugierig auf die Menschen, die sie einmal die Woche in San Miguel besuchte und so beschloss ich, sie zusammen mit dem Fotografen Tim Hoppe zu begleiten. Zweimal waren wir seitdem dort.
2004 planten wir ein Fotoprojekt, für das Tim Hoppe ein Stipendium der VG Bildkunst bekam. Ich wollte zu den geplanten Fotografien etwas längere Bildunterschriften schreiben. Doch dann verbrachten wir Zeit mit diesen Menschen. Und wir wussten sofort: Bildunterschriften konnten ihnen nicht gerecht werden. Also sind 49 kurze Portraits entstanden, 49 Lebensgeschichten, die im Hogar Adolfo Hirsch zusammenkommen und hier langsam zu Ende gehen. Hanna Grünwald ist 2005 im Alter von 99 Jahren gestorben.
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