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JUAN BREITBART

„Meine Mutter hat mich zweimal geboren“. Das sagt Juan Breitbart. Im Hogar Adolfo Hirsch spielt der 88jährige Junggeselle entweder mit sich selbst Schach, liest oder pflegt die Blumen auf seinem Balkon und noch dazu die seiner Zimmernachbarin, denn sie hat nicht so viel Sinn für Pflanzen wie er. Kontakt zu den anderen Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern ist ihm nicht so wichtig. Er ist es gewöhnt, allein zu sein.

© Tim Hoppe

Das erste Mal wurde Juan am 25. September 1916 in Berlin-Charlottenburg geboren. Damals nannte man ihn Hans. Ein zweites Mal schenkte ihm seine Mutter das Leben, als sie alles daran setzte, ihren einzigen Sohn aus Deutschland herauszubekommen.

Er ließ alles zurück, was ihm vertraut war

Das zweite Leben des Juan Breitbart begann am 13. September 1938, wenige Tage vor seinem 22. Geburtstag, als er Berlin mit einem Kurszug des Orient-Express Richtung Sofia, Bulgarien verlässt. „Was es für eine Mutter bedeutet, den einzigen Sohn wegzuschicken, ohne zu wissen, wann sie ihn wieder sieht, das ist schon allerhand.“ Wie er sich dabei gefühlt hat, lässt sich nur erahnen. Über seine Gefühle redet er nicht.

Sprecher: Heinz Ratz
Seit Jahren das Extremste, was man unter der Bezeichnung „Liedermacher“ finden kann, halten die Damen und Herren von Strom & Wasser nicht nur durch ihre brilliante Musik, ihren hohen Gute-Laune Faktor und der wilden Mischung aus Politik, Party und anspruchsvollen Texten das Konzertpublikum im Bann – auch ihre politischen Aktionen sind spektakulär. 1000 km sind sie für Obdachlose durch die Republik gelaufen, 800 km für den Artenschutz durch deutsche Flüsse geschwommen fast 7000 km für Flüchtlinge durch die Lande geradelt – um dann mit Weltklasse-Musikern auf Tour zu gehen, die in deutschen Flüchtlingslagern ohne Auftrittsmöglichkeiten leben. Mehr als 100.000 Euro Spenden für die Betroffenen konnten Heinz Ratz und seine Band dabei sammeln.

Nun feiert Strom & Wasser sein zwölfjähriges Bestehen – und sie präsentieren sich angriffslustiger, spielfreudiger und bunter denn je: Ska-Punk-Polka-Randfiguren-Walzer-Rock mit stark kabarettistischer Schlagseite. Ein unbedingtes Muß für jeden, der mehr als nur den üblichen Mainstream sucht.

http://www.strom-wasser.de

Aber er erzählt, dass er alles zurückließ, was ihm vertraut war: seine Eltern und seine Heimatstadt. „Doch ich lebte, und das war das Wichtigste.“ So empfindet er auch heute noch. Und dass er es rechtzeitig aus Deutschland herausgeschafft hat, hat er ausschließlich seiner Mutter zu verdanken. Der Vater hat im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft und ist für seine Tapferkeit ausgezeichnet worden. „Er wollte nie über Auswanderung sprechen, weil er dachte, keiner würde ihm was tun. Aber meine Mutter war klüger.“

Allein bleibt er auch die folgenden Jahre

Sie organisiert die Flucht ihres Sohnes über Bulgarien, Italien zunächst nach Paris. Wohlhabende Pariser Freunde kommen für die Kosten auf und besorgen ihm später ein Besuchsvisum für Uruguay. 1939 verlässt er Europa. Mit dem Schiff fährt er von Genua nach Montevideo, allein. Allein bleibt er auch die folgenden Jahre, denn er kann seine Eltern nicht zu sich holen. Sie schafften dennoch die Flucht. Allerdings nach Schanghai. Im Laufe der Zeit kann sich der gelernte Kaufmann Breitbart gut in Montevideo einleben und nennt sich fortan Juan. Er lernt schnell Spanisch und arbeitet sich von Job zu Job. Die Bezahlungen werden von Mal zu Mal ein bisschen besser. Und er mag sein neues Zuhause. „Hier habe ich die Freiheit kennen gelernt, die es in Deutschland nicht mehr gab: Eines Tages ging ich ins Theater in eine Sonnabend-Nachmittag-Vorstellung. Man wusste, dass auch der Präsident mit seiner Familie dort ist. Er hat in einer Loge gesessen. Und nach der Vorstellung kam er die Treppe herunter, und die Menschen haben vor ihm den Hut gezogen, und dann hat auch er den Hut gezogen. Das war für mich etwas Unvorstellbares. So viel Demokratie!“

„Da hatten wir uns 13 Jahre nicht gesehen."

Während Juan Breitbart sich langsam ein Leben aufbaut, stirbt sein Vater im Flüchtlingslager in Schanghai an einer Seuche. Auch seine Mutter muss von nun an alleine auf das Ende des Krieges warten, „ohne Nachricht von mir zu haben. Erst nachdem der Krieg aus war, bekam ich durch das Rote Kreuz Verbindung zu ihr. Natürlich war die Freude groß!“ 1941 war Juan Breitbart nach Argentinien gegangen. Auf ganz normale und reguläre Weise, wie er sagt. Aber erst 1946 kann er seine Mutter anfordern, wie es heißt. Er kann ihr eine llamada, den Ruf nach Argentinien schicken. „Aber leider kam dann etwas dazwischen, als sie auf dem Weg von Schanghai nach Argentinien in San Francisco war, denn dort war der nächste argentinische Konsul. Ich bekam ein Schreiben von der Einwanderungsbehörde, dass die llamada meiner Mutter widerrufen sei.“ Der damalige Einwanderungsdirektor, so Juan Breitbart, sei Antisemit gewesen. Und so bleibt seine Mutter fünf weitere Jahre in den USA. Erst 1951 sollte das Warten ein Ende haben. „Da hatten wir uns 13 Jahre nicht gesehen. Und diese Zeit hat sich mir eingegraben. Das können Sie mir glauben.“ Zwölf weitere Jahre leben Sohn und Mutter zusammen, bevor sie stirbt.

Nazideutschland hat Juan Breitbart, den Junggesellen, beraubt. Seine Familie und sein Familienleben hat er durch die Nazidiktatur verloren. „Vielleicht hätte ich ansonsten geheiratet und hätte heute eine eigene Familie.“

Podcastfolgen 6 und 7