Juni 5, 2019
Erst einmal muss ich die Sicherheitsschleuse passieren. Das ist wie am Flughafen. Die Sonne scheint erbarmunhslos auf die große Glasfront und es geht nicht voran. Viele Menschen wollen ins Gebäude, ein Gruppe Argentinischer Politiker und Diplomaten, die zur gleichen Veranstaltung eingeladen sind wie ich, außerdem Schüler*innen-Gruppen und Politiker*innen.
Kaum bin ich durch, werde ich von Martin Suaya begrüßt, Botschaftssekretär der Botschaft der Argentinischen Republik. Er weiß, warum ich hier bin. Der Zentralrat der Juden hatte mich vorgeschlagen. Er ist sehr interessiert an "Ein Stück Deutschland" und fragt mich aus.
Vor der Gedenkfeier habe ich die Gelegenheit, mich und mein Projekt dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesrepublik vorzustellen, Felix Klein. Außerdem lerne ich Hannah Dannel vom Zentralrat endlich persönlich kennen. Mit ihr hatte ich bislang nur per Mail Kontakt. Sie stellt mir Marcelo Dimentstein vor, jüdischer Argentinier. Seine Großmutter floh vor den Nazis aus Deutschland nach Argentinien. Er ist vor 10 Jahren nach Barcelona ausgewandert und arbeitet dort für das American Jewish Joint Distribution Committee. Er ist gerade in Berlin, weil er mit dem Zentralrat der Juden eine Erhebung vorbereitet. Sie wollen gemeinsam der Frage nachgehen, warum die jüdischen Gemeinden immer weniger Mitglieder haben.
Von der Parlamentarier-Gruppe Cono Sur-Staaten sehe ich niemanden. Dafür lerne ich Simone Barrientos von der Fraktion DIE LINKE kennen, Mitglied des Bundestages. Sie ist interessiert an "Ein Stück Deutschland" und der Idee, einen Dokumentarfim zu machen. Sie will versuchen, mit Kontakten zu helfen.
Paul-Löbe-Haus, Raum 2.600
1994 zündete eine Bombe im jüdischen Kultur- und Gemeindezentrum Amia in Buenos Aires, eben weil es ein jüdisches Haus war. Daran wird hier heute erinnert.
Vesna Frank, eine meiner Protagonist*innen in einstueckdeutschland schreibt:
Ja es war für mich und alle hier ein grosser Schlag, dass nach so vielen Jahren Frieden hier, obwohl es immer und überall Antisemitismus gibt und geben wird. Leider. Es war einfach ein Schock. (...) Jetzt ist es (Das Gemeindezentrum Amia) eine richtige Festung (...) . Sehr traurig. Argentinien war immer ein offenes Land, Die erste Welle waren Juden aus Russland und Polen, die meisen sind in Kolonien auf dem Land gewesen, dann natürlich 1938 die Auswanderung aus Europa....
Der Botschafter Edgardo Mario Malaroda spricht davon, dass die Republik Argentinien sich bemühe, die Hintergründe zum Anschlag restlos aufzuklären, damit den Opfern Gerechtigkeit widerfahren kann. Das ist pikant, wenn man bedenkt, dass die Justiz all die Jahre die Aufklärung verschleppt hat.
Davon spricht dann Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Er spricht vom Leid der Angehörigen der 85 Todesopfer und dem Leid der 300 Verletzen und dass die aktuellen Urteilssprüche gegen den ehemaligen Richter und andere, niemanden wieder lebendig machen. Die Verletzten und Hinterbliebenen litten bis heute. Und die Vertuschung der Vergangenheit habe das nicht besser gemacht.
Dazu schreibt mir heute Alfredo Daniel in einer Mail:
Am Tage des Attentates waren wir geschockt und viele Personen weinten.
Leider hatten wir fuer viele Jahre eine fast 100% Mehrheit von Richtern die von der jeweiligen politischen Linie der verschiedenen Regierungen beeinflusst wurden. So ist zu verstehen, dass unter der Regierung vom Praesident Menem (arabischer Abstammung) der zustaendige Richter zu keiner Loesung kam.
Danach war das Thema nur in zweiter Linie interessant und so ist zu erklaeren, dass es bis heute keine Loesung fuer den Anschlag auf die AMIA zu sehen ist.
Erst unter der jetzigen Regierung sind ernste Bewegungen zu verzeichnen die auf eine neue und serioese Justiz hinweisen. Wir wollen hoffen dass diese Regierung im Oktober wieder die Wahlen fuer sich entscheiden kann, damit diese demokratische Tendenz fuer weitere 4 Jahre zum Zuge kommt.
Abraham Lehrer erzählt auch von Antisemitismus in Deutschland. Er berichtet, dass der Kölner Rabbiner in der U-Bahn angegriffen wurde und NIEMAND hat ihm geholfen. Niemand hat sich eingemischt. Das empört mich! Ich bin entsetzt! Ich bin generell der Meinung, dass man helfen sollte, wenn jemand angegriffen wird. Aber wenn es ein Mensch ist, der angegriffen wird, weil er Jude ist, ist das unerträglich schlimm!
Abraham Lehrer fordert in seiner Rede mehr Zivilcourage. Und er fordert mehr finanzielle Mittel für Präventionsprojekte, damit vor allem junge Menschen nicht aus Unwissenheit und mangelnder Begegnung mit Juden zu Antisemiten werden.
Ines Bondieck - August 10, 2019 at 4:43 am -
Interessant, wieder etwas dazugelernt…