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AUFBAU IM UNTERGANG – Teil XI

Februar 14, 2020

Detlef Aberle
AUFBAU IM UNTERGANG

11. KAPITEL

Am Montagmorgen erwachte ich also mit Erkältung und geschwollenem Bein, an die Arbeit war nicht zu denken. Am nächsten Morgen jedoch, hielt ich es nicht mehr aus und setzte meinen „Stage“ fort. Erst am Abend suchte ich einen Arzt auf. Der erschreckte mich sehr, denn wenn nach wenigen Tagen das Bein nicht abgeschwollen sei, so meinte er, müsse man operieren. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Nie hätte ich mich in der Schweiz, fern von zuhause, operieren lassen, und eine Unterbrechung meines so lang erwarteten Arbeitsbesuches sah ich als ein großes Unglück an.

Quelle: pxhere.com

Quelle: pxhere.com

So ging ich am nächsten Morgen zu meinem „Bärenreiter“, dem für meinen Besuch verant­wortlichen Funktionär, und bat um eine Untersuchung durch den Firmenarzt. Die Untersuchung wurde mir zwar versprochen, doch zog sich der Termin, merkwürdigerweise, immer mehr hinaus. Schon nahte der Tag, an dem ich erneut zum Privatarzt bestellt war. Auf mein Drängen hin sagte man mir schließlich verlegen, der Hausarzt habe die Ansicht geäußert, dass wenn ich schon einen Arzt aufgesucht habe, es doch „korrekter“ sei, auch weiterhin in der Behandlung des geschätzten Kollegen zu bleiben. Auf mein energisches Unverständnis dieser so kollegialen Haltung, rückte man dann mit der Wahrheit heraus: Schon einmal habe ein Besucher aus Brasilien private gesund­heit­liche Probleme auf Kosten der Firma behandelt, was schließ­lich zu Unannehmlichkeiten führte. Wenn es mir möglich sei, die Angelegenheit allein zu meistern, wäre es vielleicht für alle besser.

Ich fühlte, dass ich etwas Verbotenes getan, an jene Pforte gerüttelt hatte, deren Hüter man nicht befragen soll

Heute hätte ich leicht eine Antwort gefunden, so zum Beispiel, dass ich gerne schriftlich beschei­nige, keinen Arbeitsunfall erlitten zu haben, dass es mir jedoch angebracht erscheine, einen guten Rat von der mich betreuenden Firma zu erhalten. Aber zu jener Zeit, als man mit Radio­apparaten nach mir schmiss, glaubte ich den erhobenen Einwand zu verstehen. Wer hatte mich geheißen, am Wochenende einen Ausflug in die Vergangen­heit zu machen, in jene Vergangenheit, der ich entflohen, und deren Erforschung nicht der Sinn dieses Stage war? Ich fühlte, dass ich etwas Verbotenes getan, an jene Pforte gerüttelt hatte, deren Hüter man nicht befragen soll.

Es war Februar, und ich ging durch die Kälte

So wanderte ich abends traurig und verlassen durch Basel. Ich hatte es wieder einmal geschafft: Es war Februar, und ich ging durch die Kälte. Wärme suchend betrat ich eine Gaststube. Die Tür noch in der Hand, blieb ich erstaunt stehen: An einem großen rechteckigen Tich saßen etwa 15 junge Männer und Frauen, die Männer mit mächtigen Bärten, die Frauen mit lang wallendem Haar. Das eindrucksvolle war, dass sie vollkommen stumm, fast wie Figuren, reglos um den Tisch saßen. Aber noch erstaunlicher war, dass ich sie kannte! Dieser junge Mann, mit dem enormen Bart, war mir am ersten Morgen meines Stage in der Ampullenabteilung aufgefallen, und ich hatte mich keineswegs beliebt gemacht mit der Bemerkung, bei uns in Argentinien würde man solch einen Bart in einer sterilen Abteilung nicht dulden. Und dieses Mädchen mit den langen Haaren, sie war eine Mitarbeiterin der Verpackung, und ihre Schönheit hatte mich öfters zu ihrem Tisch hinsehen lassen als technisch notwendig gewesen wäre.

Da saß ich nun, so manchen Abend, und schwieg

Man sah mich, und rückte sofort stumm zusammen. Ich setzte mich neben das schöne Mädchen. Jemand bestellte eine Runde Bier. Ich bestellte eine Runde Bier. Da saß ich nun, so manchen Abend, und schwieg. Die Szene war mir vertraut: Draußen Kälte, hier Wärme.
Wir schrieben das Jahr 1967, und ich war unter die Fabrik-Hippies der Firma geraten, ein Verband junger Angestellter, meistens italienischer Herkunft, die zwar bei der mächtigen pharma­zeutischen Firma Arbeit, aber keine Freude gefunden hatten. Die Stadt, mit ihrer Tradition und strengen gesellschaftlichen Regelung, war ihnen fremd, gerade gut genug zum Geld verdienen. Aber es waren doch eben „Hippies in der Schweiz“, sie lungerten auf keinen Plätzen herum, spritzten keine Drogen, kamen des morgens pünktlich zur Arbeit. Ihr Protest galt dem Gefühl, dass das Leben ihnen nicht vergolten habe, was sie ihm ver­sprachen. Und da saßen wir also, mit langen Haaren (ausser mir) und stumm.
Ob in den Akten der allwissenden Personalabteilung der großen Firma wohl verzeichnet ist, dass der geschätzte technische Mitarbeiter im Ausland ein Hippie war? Ach, meine Kinder würden lachen, ungläubig lachen, ihr Vater, mit diesen veralteten Ansichten, ein Hippie! Nun, mir soll es recht sein: Als ich durch die Kälte ging, rückten sie still zusammen; ihnen sei Dank dafür!

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