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ERWIN FENNER

Die Nazis haben Erwin Fenner zu einem Lügner gemacht. „Ich habe noch nie so viel gelogen, wie zu dieser Zeit.“ Erwin Fenner musste lügen, immer wieder. Zunächst um sein eigenes Leben zu retten und später das seiner Mutter.

© Tim Hoppe

Schon lange vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 erkennt er die gesellschaftlichen Veränderungen. Er erinnert sich, wie sein bester Freund eines Tages zu ihm sagt, „Erwin, ich kann nicht mehr mit dir sprechen, du bist Jude.“ Das war das Ende einer Freundschaft. Bis dahin haben die zwei Düsseldorfer Jungs alles zusammen gemacht, haben gespielt, viel Sport getrieben und sind zusammen zur Schule gegangen. Kurz darauf sieht er seinen Freund auf der Straße marschieren, in brauner Uniform. Da war ihm alles klar.


SPRECHER HEINZ RATZ

Seit Jahren das Extremste, was man unter der Bezeichnung „Liedermacher“ finden kann, halten die Damen und Herren von Strom & Wasser nicht nur durch ihre brilliante Musik, ihren hohen Gute-Laune Faktor und der wilden Mischung aus Politik, Party und anspruchsvollen Texten das Konzertpublikum im Bann – auch ihre poltischen Aktionen sind spektakulär. 1000 km sind sie für Obdachlose durch die Republik gelaufen, 800 km für den Artenschutz durch deutsche Flüsse geschwommen fast 7000 km für Flüchtlinge durch die Lande geradelt – um dann mit Weltklasse-Musikern auf Tour zu gehen, die in deutschen Flüchtlingslagern ohne Auftrittsmöglichkeiten leben. Mehr als 100.000 Euro Spenden für die Betroffenen konnten Heinz Ratz und seine Band dabei sammeln.

Nun feiert Strom & Wasser sein zwölfjähriges Bestehen – und sie präsentieren sich angriffslustiger, spielfreudiger und bunter denn je: Ska-Punk-Polka-Randfiguren-Walzer-Rock mit stark kabarettistischer Schlagseite. Ein unbedingtes Muß für jeden, der mehr als nur den üblichen Mainstream sucht.

www.strom-wasser.de

Das Leben der Jugendlichen war gefährlich geworden

„Ich war damals bei der Hashomer Hazair, einem jüdisch-sozialistischen Jugendbund pro Palästina. Wir waren alle links eingestellt.“ Zusammen mit christlichen Jugendlichen versucht der Bund, durch Gespräche und Flugblätter Leute von ihren Ideen zu überzeugen. „Nicht zum Kommunismus, sondern gegen den Faschismus, denn wir waren alle angehaucht von der Revolution Rusa.“ Als Lehrjunge lernte er ein hübsches christliches Mädchen kennen. Mittlerweile hatten die Nazis die Macht ergriffen und das Leben der Jugendlichen war gefährlich geworden, doch auch dieses Mädchen will er überzeugen. Er gibt ihr Flugblätter zu lesen. Kurz darauf wird sie verhaftet. Dann kommt die Gestapo auch in das Geschäft, in dem er arbeitet und nimmt ihn mit. „Aber sie haben bei mir nichts gefunden.“ Man wirft ihm vor, das Mädchen mit antifaschistischen Broschüren versorgt zu haben. Doch Erwin streitet alles ab. „Bueno, man hat mich ganz schön in der Mangel gehabt, geschlagen haben sie mich, aber ich habe gelogen, gelogen und immer wieder gelogen.“ Das Volksgericht Hamm verurteilt Erwin Fenner wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und neun Monaten Zuchthaus ohne konkrete Beweise. Er hat gerade erst seinen 21. Geburtstag gefeiert.

Dreimal täglich muss er sich bei der Polizei melden

„Ich war immer im Zweifel, was sie mit mir machen werden, wenn die Zeit um ist. Ich dachte, ich komme ins campo de concentración. Aber als ich raus kam, stand ein Wagen vor der Tür und mein Vater saß drin. Der hat mich abgeholt, mit einer Flasche Wermut.“ Erwin Fenner sitzt aufrecht in einem Stuhl in seinem Zimmer im sogenannten Sheraton, dem feinsten Haus im Hogar Adolfo Hirsch und lacht bei dieser Erinnerung. Es sei eine große Freude gewesen, seine Eltern nach so langer Zeit wiederzusehen. Aber frei habe er sich nicht gefühlt, sagt er. Erwin Fenner darf nicht mehr arbeiten. Auch sein Vater hat seine Arbeit verloren und seine Mutter ist schwer krank. Dreimal täglich muss er sich bei der Polizei melden. „Die wollten immer wissen, wo ich bin, weil sie nichts gegen mich in der Hand hatten.“ Bei einer zweiten Vernehmung durch die Gestapo ein paar Wochen später, lügt er wieder. Dabei darf er keine Fehler machen, denn die Aussagen der ersten Vernehmung waren ja protokolliert worden. Aber Erwin Fenner hatte sich alles gemerkt und sagt immer wieder Dasselbe. Nach dem Wochenende solle er sich bei der Gestapo wieder melden, so der Beamte, für eine Gegenüberstellung. „Aber an diesem Montag war ich nicht mehr da. Da war ich schon auf der Flucht nach Holland.“ Das war 1936.

„Ich hatte keine Beweise für meine Existenz.“

Abenteuerlich und voller Angst vor der Grenzpolizei sei die Flucht nach Amsterdam gewesen. Angekommen, nimmt er sofort Kontakt zum jüdischen Flüchtlingskomitee auf. Dort glaubt man ihm seine Geschichte nicht. „Ich hatte keine Beweise für meine Existenz.“ Doch sie telefonieren nach Düsseldorf, und alles ist klar. Erwin Fenner bekommt eine Pension zugewiesen und das Recht, einen Monat zu bleiben.

Er sei schon immer ein guter Sportler gewesen, sagt der heute 92jährige, dem man seine sportliche Vergangenheit auch heute noch ansieht. Nach wie vor bewegt er sich viel, und im Sommer ist er oft an der pileta, dem Swimmingpool anzutreffen. Dann schwimmt er seine Bahnen und fühlt sich gut dabei. Für sein Leben bedeutet der Sport allerdings mehr als nur Spaß, Wettbewerb und Gesundheit. Ohne den Sport, wäre ihm die Ausreise nach Argentinien vielleicht nicht gelungen. Er erinnert sich: „Ich bin direkt zur Boxabteilung vom jüdischen Sportclub gegangen. Der Trainer hat sofort gesehen wie leicht ich war. Ich habe nur 50 Kilo gewogen. Ein typisches Fliegengewicht. Bueno, den können wir gebrauchen, hat er gesagt. Ich hatte dann gleich in den ersten Monaten einen Kampf, und den habe ich durch K.O. gewonnen.“ Und dann heißt es, „Der muss bei uns bleiben.“ Fortan gewinnt er einen Kampf nach dem anderen. Auch für Holland geht er in den Ring. Dieser Kampf geht zwar verloren, aber nun ist er bekannt. „Bueno, dann kam der Präsident vom jüdischen Club zu mir und sagte, „Herr Fenner, Sie haben gut für uns geboxt, vielleicht können wir was für Sie machen.“ Er bekommt tatsächlich eine Aufenthaltsgenehmigung, doch ein Jahr später wird es für ihn auch in Holland zu unsicher, und er reist mit seinen holländischen Papieren nach Paris. „Dort in Frankreich bin ich dann mit dem Schiff direkt nach Argentinien.“ Das war Anfang 1938.

„Ich habe noch nie so viel gelogen, nur um Menschen zu retten, aber man kann nicht immer die Wahrheit sagen.“

Allein in der weiten Ferne fällt ihm die erste Zeit sehr schwer. Aber er habe das Glück gehabt, so erinnert er sich, dass er seine Eltern habe nachholen können. Wieder musste er lügen, um eine llamada schicken zu können. „Ich habe noch nie so viel gelogen, nur um Menschen zu retten, aber man kann nicht immer die Wahrheit sagen.“ Denn seine Mutter sei ja schwer krank gewesen, und für eine kranke Frau hätten die Behörden keine llamada ausgestellt. Der Krieg dauerte nunmehr schon zwei Jahre.
Als seine Eltern nach etlichen Schwierigkeiten endlich an Bord eines Schiffes sind und Wochen später in Argentinien ankommen, wollen die Beamten seine kranke Mutter nicht vom Schiff lassen. „Niemand konnte was machen.“ Erwin Fenner wird heute noch wütend, wenn er daran zurückdenkt. Doch über die richtigen Kontakte kommt die Rettung für Familie Fenner: „Ich habe damals ab und zu auch für eine jüdische Zeitung gearbeitet, und mein Chef hat mir die Adresse von der Crítica, einer anderen jüdischen Zeitung gegeben. „Sagen Sie denen, was hier los ist. Die Leiterin der Crítica wird was machen können“. Ich bin mit ihr zusammen zur Immigrationsbehörde gefahren, und sie hat gefragt, „Warum kommt die Frau Fenner nicht vom Schiff?“ Der Leiter sagte, „Naja, die Frau ist sehr krank und so weiter und so weiter“. Sie sagte dann, „Wenn die Frau Fenner bis morgen früh um zehn nicht vom Schiff ist, wird ganz Argentinien von dem Fall lesen.“ Also durfte meine Mutter runter vom Schiff.“

„Bleiben Sie doch, es ist doch schön hier!“

Erwin Fenner hat sich bei einem Unfall seinen Arm verletzt. Man sagte ihm, dass im Hogar Adolfo Hirsch eine gute kinesiologia sei. Also ging er zunächst für einen Monat zur Rehabilitation dorthin. Damals war er 90 Jahre alt. Als er zurück in seine Wohnung kam, war er wieder alleine, denn seine Frau war schon eine Weile tot. Er ging also wieder zurück nach San Miguel, um es auf Dauer zu versuchen. Nach einer Weile sagte man, „bleiben Sie doch, es ist doch schön hier!“ Er ließ seine Sachen kommen. Seitdem lebt er in San Miguel und ist sehr zufrieden.

Erwin Fenner starb im August 2005 im Alter von 93 Jahren.